Antirassismustelefon macht Schule – 2022

Antirassismustelefon macht Schule – 2022

Rückblick und Ausblick

Aufgrund von Anfragen an das Anti-Rassismustelefon hatten wir 2022 zwei Gelegenheiten an Schulen Workshops zum Thema Rassismus, Diversität und Empowerment durchzuführen. Zusätzlich gab es eine Anfrage von einem kurdischen Elternverein zum Thema Empowerment gegen Rassismus in der Kindererziehung für betroffene Eltern.

Unsere Workshops waren an an einer weiterführenden Schule in Reken und an einer Montessori Schule in Bochum. Beide Male waren es Kinder/Jugendliche der 7 und/oder 8. Klasse mit denen wir gearbeitet haben. In Reken waren wir an einem Vormittag jeweils 90 bzw. 45 Minuten in insgesamt 3 Schulklassen. In Bochum waren wir den ganzen Schultag von 9-13.00 in einer 8ten Klasse. Die Veranstaltung beim Elternverein Yekmal fand im Essener Begegnungszentrum im Rahmen eines Elternfühstücks statt und war ein Vortrag mit anschließender Diskussion vor ca. 8-10 Eltern. Zu allen Veranstaltungen haben wir einen Büchertisch vorbereitet, der nun auch eine große Auswahl an Kinderliteratur enthält.

Konzepte

Unsere Workshops an Schulen gestalten wir gemeinsam mit Betroffenen. Hier haben wir inzwischen 3-4 Personen, die uns (Mitarbeitende des ART / in dem Fall Anabel Jujol) für eine Aufwandsentschädigung (die wir mit den Schulen vereinbaren) begleiten.

Wichtig ist, dass in den Workshops ein Raum entsteht, bei dem die Kinder ihre eigenen Erfahrungen, ihre Vorurteile, Ängste und konstruktiven Ideen formulieren können, in dem Platz für Emotionen und Gedanken ist und die typische Bewertung durch Lehrer*innen nicht relevant ist und bestenfalls auch nicht stattfindet. Die Kinder sollen sich frei äußern können und am Ende gestärkt werden, sich gegen Rassismus oder andere Diskriminierungsformen zu behaupten und sich auch für andere einzusetzen.

Wir bestehen deshalb im Vorfeld auf einen Stuhlkreis, um die Kommunikation weniger hierarchisch zu gestalten. Nach einer Runde, in der sich alle persönlich vorstellen, beschreibt die Referentin des ART unsere Arbeit und unsere Erfahrungen, untermalt mit einigen Fallbeispielen.

Je nachdem welche Betroffenen den Workshop mit gestalten, gibt es mehr oder weniger verschieden gestaltete interaktive Teile.

Kefaet P. Von Roma Art Attac ist Rapper und Roma Aktivist und erzählte von seinen Erfahrungen mit Ausgrenzung, Armut und Abschiebung und der Diskriminierung seiner Muttersprache. Er singt und performt dazu und gibt den Inhalten damit einen quasi künstlerischen Rahmen. In manchen Gruppen ergab sich dadurch ein „Mitmach“ Format, bei dem Kinder auch gerappt haben oder in ähnlicher Weise von ihren Erfahrungen berichtet haben. In jedem Gall regte der persönliche Bericht zu einem Austausch und zu einer Diskussion an.

Jesem A. hat deutsch-tunesische Wurzeln und wohnt in einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung. Er leistete in den Workshops einen wertvollen Beitrag, indem er persönliche Erfahrungen mit der Zuhörerschaft teilte. Ergänzt hat er seine Ausführungen, die trotz eingeschränkter sprachlicher Kompetenz sehr eindrucksvoll sind, durch Gesangseinlagen, einzig begleitet von seiner kleinen mobilen Bluetooth Box. Sein Mut und seine Emotionalität haben die Kinder sehr beeindruckt, teils zu Tränen gerührt.

So konnte das Thema Rassismus auch in der intersektionalen Ausprägung „Armut und Rassismus“ und „Behinderung und Rassismus“ durch die beiden Referenten anschaulich gemacht werden und dies wurde in den Diskussionen auch gut aufgenommen und besprochen.

Das Lehrpersonal an Schulen ist unserer Erfahrung nach vorwiegend weiß und ohne signifikanten Migrationshintergrund. Das führt neben dem üblichen Machtgefälle zwischen Lehrer*in und Schüler*innen zu einem manchmal problematischen Ungleichgewicht der Privilegien, Erfahrungen und vor allem beim Thema“Othering“: Hier geht es darum national bzw. kulturell geprägte WIR Identitäten zu beleuchten und zu hinterfragen bzw. bewußt zu machen. Unbewusster und bewusster Rassismus durch Lehrpersonal ist ein heikles aber wichtiges Thema gewesen. Hier mussten wir die Lehrer*innen oft erst darauf stoßen, dass sie durch das Machtgefälle in einer besonderen Situation sind, wenn sie Narrative reproduzieren, in denen sie die Kinder zum Teil durch WIR und IHR Konstrukte ausgrenzen oder einbeziehen. Klassische Sätze aus dem Schulalltag können da lauten: „Macht ihr das bei Euch in eurem Land auch so? Oder „Das kannst du in Deinem Land machen, aber nicht hier in Deutschland“ oder ähnliche Formulierungen in denen ein „deutsches“ WIR einem „Euch“ in der Schülerschaft gegenüber gestellt wird.

Eine Sensibilisierung ist einerseits schwierig, aber besonders wichtig. In Deutschland hat inzwischen jedes dritte Kind einen sogenannten Migrationshintergrund jedweder Art. Eine einheitlich kulturelle oder nationale Identität ist ein Mythos, der einer Realität mit verschiedenen sozialen Schichten und Milieus nicht standhält.

Letzteres war auch Thema beim Elternfrühstück zu dem wir im Herbst diesen Jahres geladen waren. Dabei ging es darum, Eltern Handlungsperspektiven aufzuzeigen, deren Kinder von Rassismus im Alltag in der Schule und in der Freizeit betroffen sind. Hier war die Schwierigkeit zu besprechen, dass unterschiedliche Eltern/Personen Rassismus anders wahrnehmen und eingeübt Strategien hinterfragt werden sollten. Zum Bespiel ist die Negation von Betroffenheit der Eltern (oft aus Selbstschutz) für die Kinder belastend, wenn ihre Erfahrungen damit weg oder klein geredet werden. Andererseits werden Ungerechtigkeiten manchmal als Rassismus gewertet, die möglicherweise rein persönlich begründet sind oder verdeckter Klassizismus (also Diskriminierung aufgrund von Armut) sind. Hier diskutierten wir zum Beispiel das Thema Schulempfehlung und Benotung.

Umfangreiche Literatur sollte auch das Thema Repräsentation deutlich machen. Moderne Kinderbücher versuchen inzwischen mehr Diversität abzubilden oder auch Geschichten zu erzählen, die das Thema Rassismus oder andere Aspekte von Diskriminierung und Diversität behandeln. Grundlage des Vortrages bei den Eltern war dabei unter anderem spezielle Literatur zum Thema Empowerment in der Erziehung durch die Familie und/oder das direkte Umfeld.

Resümee /Ausblick / weitere Vorgehensweise im nächsten Jahr

Aufgrund der sehr positiven Rückmeldungen aus den Schulen und auch von den Betroffenen / Referenten möchten wir im nächsten Jahr die Arbeit fortsetzen. Die Betroffenen/Referenten berichteten, dass sie nach den Workshops selbst motivierter und gestärkter waren. Dass ist in Anbetracht der Tatsache, dass sie vor den Kindern und Lehrenden sehr persönliche, teils sehr demütigende Erfahrungen teilen ein immens wichtiger Aspekt. Wir sind froh, ein Format und einen Umgang gefunden zu haben, der diesen Eindruck bei unseren Referenten hinterlässt.

Die Kinder und Lehrenden haben uns ebenfalls sehr gutes Feedback gegeben und haben ihre Perspektive deutlich erweitert, bzw, einen Perspektivwechsel erlernt. Schwierig ist und war, dass es regelmäßig zu „Outing“ Situationen kam. So haben einzelne Kinder ihre geschlechtliche Identität oder ihre stigmatisierte familiäre Herkunft in der Klasse zum ersten mal angesprochen. Hier haben wir gegenüber dem Lehrpersonal versucht darzulegen, wie wichtig eine weitere Begleitung der betroffenen Kinder ist, die sich in diesem geschützten Raum getraut haben, solche Dinge erstmalig offen anzusprechen. So hat ein Kind zum Beispiel zum ersten Mal realisiert , dass es einen „Clannamen“ trägt, eines hat sich als Roma geoutet (vorher hinter albanischer Herkunft kaschiert) und ein anderes hat sich offen als Nonbinär benannt.

Hier müssen wir in Zukunft mindestens für die Kinder weitere Anlaufstellen benennen (eigene Schulsozialarbeit oder externe Angebote), um die Kinder womöglich zu unterstützen.

In Essen gibt es zum Beispiel pädagogische Angebote von Laissez Passer e.V. für Kinder aus libanesisch/arabischen Großfamilien und es gibt Mädchenangebote wie „die Perle“ oder andere Jugendgruppen oder Anlaufstellen für „Queere Kinder“. Hier sollten wir unser Netzwerk breiter aufstellen und eine Liste der Anlaufstellen parat haben und eventuell selbst Kontakte herstellen. Im Rahmen der Planung weiterer Veranstaltungen wollen wir die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen von Laissez Passer mit einbeziehen sowie die neuen Kontakte zu Yekmal und der hier angesprochenen Elternschaft verstärken.

Wir möchten die Eigeninitiative erweitern und unabhängig von Anfragen unser Workshops an Schulen anbieten. Hier könnten sich Kooperationen mit den oben genannten Gruppen ergeben bzw. sinnvoll sein. Es wäre ebenso denkbar unser Angebot zum Thema Empowerment von Eltern auch anderen migrantischen Vereinen anzubieten. Das wäre ebenfalls ein wichtiger Türöffner für weitere Kooperationen und auch um allgemein politisch in der Stadtgesellschaft Druck aufzubauen, um strukturellen Rassismus in der Stadtverwaltung /polizeilichen Exekutive anzusprechen und zu bekämpfen.

FAZIT

Unsere Workshops an Schulen gestalten wir gemeinsam mit Betroffenen. Hier haben wir inzwischen 3-4 Personen, die uns (Mitarbeitende des ART / in dem Fall Anabel Jujol) für eine Aufwandsentschädigung (die wir mit den Schulen vereinbaren) begleiten.
Wir möchten in Zukunft weiter in der Kinder und Elternarbeit aktiv sein, besonders direkt in Essen, um perspektivisch auch breiter aufgestellt zu sein und auch für Projekte oder Veranstaltungen mehr Partner zu haben, indem wir unsere Kontakte zu Betroffenen, die in Vereinen organisiert sind ebenfalls ausbauen. Wenn wir an Schulen ein ernst zu nehmender Partner sind, ist das auch nicht unerheblich für unsere Reputation Inder Stadtgesellschaft und natürlich hoffen wir zu aller erst möglichst viele Kinder, Jugendliche, Lehrer*innen und Eltern zu stärken, zu unterstützen, zu motivieren oder zu sensibilisieren für das Thema Rassismus/Diversität und Diskriminierung.