Flüchtlingsarbeit
Bernd Brack im Gespräch mit Gabi Velten
- Was ist für dich antirassistisch?
Antirassistisch sind für mich Einstellungen und Handlungsweisen, die sich dem dumpfen Rassismus verweigern und entgegenstellen, dem Rassismus, der Menschen aufgrund äußerer Merkmale wie Hautfarbe, Herkunft usw. besondere, meist negative, Eigenschaften zuschreibt - Im Artikel 3 unseres Grundgesetzes ist das alles schon festgelegt.
- Was war für dich der Anlass für dein Engagement, vor allem bei ProAsyl?
Ich habe 1985 mit der Flüchtlingsarbeit begonnen, und da war es eigentlich zwangsläufig, dass man gegen Rassismus arbeitet und was tut. Denn wir merkten besonders an den Flüchtlingen anderen Aussehens, wie den Afrikanern, dass sie sehr unter rassistischen Tendenzen hier in unserem Land zu leiden hatten.
- Siehst du deine Tätigkeit in anderen Gruppen auch mit antirassistischer Arbeit in Verbindung stehend?
Ja, natürlich. Es gibt verschiedene Gruppierungen, die sich dem antirassistischen Kampf verschrieben haben. Es gibt einige der linken Parteien, der Kirchengemeinden, die sich da engagieren. Ich kenne besonders eben die evangelische Kirche, weil ich da aktiv bin. Es ist z.B. die Friedensbewegung hier in Essen, das Essener Friedensforum. Es ist ProAsyl. Ja natürlich das Anti-Rassismus-Telefon, wo ich auch Mitglied bin. Und so gibt es genügend Möglichkeiten, wo Menschen sich engagieren können.
- Seit wann machst du Flüchtlingsberatung?
Meine Flüchtlingsberatung fing an 1985. Das war ja natürlich noch keine professionelle Beratung, weil wir da ja erst anfingen. Wir mussten uns erst wissend machen . Im Laufe der Jahre ist uns dann natürlich Wissen zugewachsen. Ganz klar, durch jeden Menschen, mit dem man sich beschäftigt, mit jedem Flüchtling lernt man wieder mehr kennen von den Gesetzen, von den Bestimmungen, von den Erlassen usw.. Und das sind jetzt fast 20 Jahre, und da hat sich eben einiges angesammelt.
- Welche Entwicklung kannst du in der Flüchtlingsberatung erkennen?
Das einschneidenste ist die Reduzierung der Flüchtlingsberater auf kommunaler Ebene, d.h. die Zahl der Flüchtlingsberater bei den freien Wohlfahrtsverbänden ist in den letzten Jahren rigoros reduziert worden.
Flüchtlingsberater rigoros reduziert
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Als ich anfing, gab es in Essen mal annähernd 30 Flüchtlingsberater; dann wurden sie reduziert auf 11. Und heute haben wir bei der Caritas und beim Diakonischen Werk insgesamt noch 2,5 Stellen für die Flüchtlingsberatung. Das heißt, in solche Institutionen wie in Essen ProAsyl / Flüchtlingsrat kommen immer mehr Menschen, weil sie woanders nicht mehr beraten werden können. Bei uns hat die Frequenz deutlich zugenommen.
Deutlich spürbar ist, dass die Flüchtlinge, die schon seit 10 Jahren, 15 Jahren oder länger hier sind, andere Probleme dazu bekommen haben. Früher hatten sie nur ihre normalen asylpolitischen Probleme. Heute haben sie teilweise Probleme, wie eben auch minderbemittelte Deutsche. D.h. sie bekommen ja einen sehr geringen Satz, geringer als den Sozialhilfesatz, vom Sozialamt (Asylbewerberleistungsgesetz), und viele haben Probleme mit Schulden, mit Mahnungen usw.. Da müssen wir uns dann auch drum kümmern.
- Und welchen Unterschied entdeckst du zu früher? Haben sich auch die Bedingungen verändert - und ist es wichtig, dass die Flüchtlingsarbeit Zuwachs erfährt?
Ja, natürlich. Die ehrenamtliche Arbeit könnte noch einige willige Leute gut gebrauchen, weil die Arbeit eben sehr vielfältig geworden ist. Man muss sich sehr intensiv mit einem Flüchtling, mit einer Familie beschäftigen. Sehr intensiv, weil auch unsere Gesetze und die Verfahren immer komplizierter geworden sind, auch rigoroser. Also, in der Ablehnungsquote der Asylbewerber ist Deutschland einsame Spitze. Und die Anerkennungsquote, also die Asylbewerber, denen Asyl gewährt wird, d.h. mit der Zusage, auf Dauer in Deutschland bleiben zu können aufgrund der Verfolgung im Heimatland, ist gesunken auf gut 1% .
Anerkennungsquote 1% - ein Skandal
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Das ist ein Skandal. Es gibt viele Länder auf der Welt, wo Menschen verfolgt werden und um ihr Leben bangen müssen. Und Deutschland erkennt das meiste nicht mehr an, weil die Flüchtlinge nicht in der Lage sind, das zu beweisen. Sie können es nur sagen, und man glaubt ihnen in der Regel ihr Verfolgungsschicksal einfach nicht. Das hat zugenommen, und das ist ein sehr bedauernswerter Zustand.
- Sind das die Faktoren, durch die die Arbeit erschwert wird oder gibt's da auch noch andere? Und was sind die größten Hindernisse?
Es ist schwerer geworden. Die Menschen haben eine Hoffnung hier in Deutschland, wenn sie ihren Asylantrag gestellt haben. Selbst, wenn er abgelehnt worden ist, bekommen sie dann ja für eine Zeit ihre Duldung. Duldung heißt aber nur Aussetzung der Abschiebung, was aber die Flüchtlinge oft gar nicht verstehen. Sie wissen nicht, dass sie jeden Tag abgeschoben werden können, wenn sie nicht freiwillig ausreisen. Und da geht man auch relativ rigoros vor. Ich muss sagen, in Essen ein bisschen milder als in manchen anderen Städten, von denen ich weiß. Aber die bundesdeutsche Gesetzgebung ist so und lässt dann auch den Ausländerämtern wenig Spielraum, da mal besonders human sich zu verhalten. Sie sind festgelegt. Die Ausländerämter sind die letzte Stufe in diesem System, und sie müssen dann eben teilweise nach der Gesetzeslage die Menschen auch aus unserem Land rausschmeißen, was eine große Katastrophe ist. Es wird keine Rücksicht darauf genommen, wie lange sie hier leben. Viele kommen zu uns und meinen: „Unsere Kinder sind doch hier geboren. Die kann man doch nicht rausschmeißen.“ „Doch“ müssen wir ihnen dann leider sagen. „Wer hier keinen Aufenthaltsstatus bekommt, keinen gesicherten, und nur die Duldung hat, d.h. für eine Zeit lang hier gelebt hat, der muss zurück.“ Und das läuft jetzt im großen Stil.
- Wenn man so Trauriges hört, was kann denn überhaupt erreicht werden? Und was möchtest du erreichen?
Na ja, wir sprechen ja jetzt über Antirassismus. Es müsste erst mal erreicht werden, dass diese Menschen als Menschen anerkannt werden. Und zwar zumindest hier in dem reichen Westeuropa, dass sie ihre Menschenrechte wahrnehmen könnten, und dass man sie ihnen gewähren würde. Und da sehen wir viele Defizite in der Gesetzgebung, in der Erlasslage. Da müsste vieles passieren, ich will jetzt nicht in Pessimismus machen, aber ich sehe keinen Silberstreif am Horizont. Es sieht zur Zeit nicht so aus, als ob man sich darum kümmern würde. Man bastelt seit ewigen Zeiten an einem Zuwanderungsgesetz, aber das ist für mich ein egoistisches Gesetz. Man will Leuten den Zugang nach Deutschland erleichtern, die man hier braucht, hochqualifizierten Spezialisten. Viele Flüchtlinge meinen, dass für sie dabei auch was rauskommt; aber wir müssen ihnen dann leider immer wieder sagen, dass an sie dabei keiner gedacht hat. Also für die hier lebenden Flüchtlinge bringt es nichts. Selbst wenn das Zuwanderungsgesetz mal kommt, es wird ja verhandelt und verhandelt seit Monaten. Und, nein, also die Flüchtlinge sind außen vor. Um die kümmert man sich nicht.
Wir haben auch schon verschiedene Aktionen gestartet, wenn Menschen über einen gewissen Zeitraum hier in Deutschland gelebt haben und man keine Chance hatte, sie abzuschieben, weil das Heimatland sie nicht wollte und ihnen keine Pässe gegeben hat; oder weil die Menschen schwerkrank sind, und man weiß hier, dass das nicht in der Heimat zu behandeln ist; dann müsste man diesen Menschen ein Daueraufenthaltsrecht garantieren, damit auch ihre Psyche wieder gesund wird. Sie leben seit Jahren auf gepackten Koffern, weil man muss ja wissen, die Duldung wird in der Regel für 3 Monate ausgestellt. Das heißt, die Leute wissen nie, ob sie über 3 Monate noch hier sein können. Und das ist ein katastrophaler Zustand; und der ist eines Landes, was sich Rechtsstaat nennt, unwürdig.
- Also trotz viel Frustarbeit ist die Flüchtlingsarbeit nach wie vor wichtig und kann trotzdem auch noch Perspektiven für die betroffenen Menschen bringen?
Nun ja, der Menschenwillen ist hier einfach notwendig. Man kann nicht sagen, dass die Arbeit einem Spaß oder Freude macht; aber sie kann erfüllen, und darum bin ich so lange dabei und hoffe, das noch einige Zeit machen zu können, weil ohne irgendeine Hilfe von deutscher Seite sind Flüchtlinge nun wirklich ganz aufgeschmissen. Auch wenn sie oft die deutsche Sprache sprechen, dann reicht's aber nicht aus, um Erlasse und Gesetze zu verstehen oder auch Schriftstücke, die sie bei den Ämtern bekommen. Dafür sind einfach wir oder andere Menschen, die sich ihrer annehmen, notwendig. Das muss man einfach schaffen, dass noch mehr Menschen sich engagieren und diesen Flüchtlingen helfen, die sonst noch ärger dran sind.
Z.B. kommen Leute mit ihrem Sozialhilfebescheid, den wir zwar auch nicht unbedingt immer verstehen, aber wir können dann mit den Sachbearbeitern sprechen; und dann gab es auch Fälle, wo sich rausstellte, dass da auch Fehler waren. Wenn es da keine Hilfe gäbe von deutscher Seite, also von uns zum Beispiel, dann blieben sie in diesem misslichen Zustand, und da muss geholfen werden. Wir befürchten, uns noch sehr lange darum kümmern zu müssen.
Ob Jugoslawien, Afghanistan, Irak ...
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Es werden immer wieder Flüchtlinge kommen, zwar viel weniger als früher; aber man kann ja davon ausgehen, dass es irgendwann wieder Kriege gibt, wo der Westen sich erdreistet, andere Länder zu befrieden, was ja immer zu Unfrieden und zu Elend führt. Das haben wir ja erlebt in den letzten Kriegen. Immer nach den Kriegen, ob es in Jugoslawien war, Afghanistan, Irak, gibt es wieder neue Flüchtlinge - Menschen, die da nicht mehr leben können. Deshalb wird es immer Flüchtlinge geben, und da muss man sich drum kümmern.
- Wärest du für offene Grenzen und eine weltweite Migrationsmöglichkeit?
Ja natürlich, eine weltweite Migrationsmöglichkeit ist das erstrebenswerte. Wir sind alle Bürger dieser Welt. Das ist ganz klar. Das soll aber nicht heißen, dass jetzt alle nach Deutschland reinkönnen. Das kann kein Land verkraften. Das ist ja auch nicht der Sinn der Sache. Nein, unser Asylrecht müsste verfeinert werden; es müsste mehr auf individuelle Probleme von Flüchtlingen eingehen. Zur Zeit haben wir den Eindruck, es wird so in Bausch und Bogen und nach Aktenlage entschieden, ohne den Menschen dahinter zu sehen. Da würden wir uns einfach Verbesserungen wünschen. Wenn Menschen nach Deutschland kommen, dann müssten sie ein faireres Verfahren haben hier, und da sehen wir einfach große Defizite. Grundsätzlich geht man davon aus, dass der Flüchtling lügt oder seine Situation falsch darstellt.
Da müsste z.B. ein Betreuer an die Seite gestellt werden, ihnen beim ersten Asylantrag helfen. Sie kommen in dieses Land unter Stress, sie mussten ihr Land verlassen, was ja keiner gerne tut und haben diesen Fluchtweg, der oft sehr abenteuerlich ist; dann hier mit der Aussicht, nicht gewollt zu sein, machen sie Fehler bei ihrer Befragung beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Wir wünschen uns, dass Flüchtlinge, die hier herkommen, erst vorher zu einer Beratungsstelle wie der unseren kämen und nicht erst hinterher, wenn eben schon einiges nicht mehr zu kitten ist. Was sie einmal gesagt haben, bleibt in ihrer Akte für immer; und wenn sie sich dann vertan haben in Zeitangaben, in Ortsangaben und es ist aufgefallen, dass sie falsche oder irrtümliche Aussagen gemacht haben, dann legt man ihnen das als Lüge aus, und ihre ganze Aussage wird dann nicht der Wahrheit entsprechend angesehen. Diese Menschen brauchten vorher Betreuung und Hilfe. Aber es sieht nicht so aus, dass wir das hinbekämen. Und darum müssen wir sehen, dass wir mit unserer Arbeit noch hinterher so viel wie möglich kitten und helfen können.
- Und wenn jetzt jemanden das Arbeitsgebiet interessiert, wie kann man anfangen, wen könnte man fragen?
In allen Kommunen eigentlich, in den größeren mindestens, gibt es solche Einrichtungen wie ProAsyl/Flüchtlingsrat Essen. Da kann man anrufen. Man kann auch bei den Kirchen anrufen. Die Caritas von der katholischen Kirche, das Diakonische Werk von der evangelischen Kirche machen auch Flüchtlingsberatung, zwar wie ich eben gesagt habe, in Essen sehr reduziert, aber sie machen es. Zumindest bekommt man dort Adressen von solchen Hilfsorganisationen wie unserer. Man kann auch die Stadt anrufen. In allen Städten sind diese Einrichtungen bekannt, und ich denke, man muss sich solchen Einrichtungen anschließen, wenn man helfen will. Alleine als Einzelkämpfer ist man ziemlich aufgeschmissen. Man braucht den Kontakt zu anderen, zu gleichgesinnten, wo man sich austauscht, wo man sich weiterbildet, wo man sich fördert, und da sollten Menschen sich melden und mitmachen.
Vielen herzlichen Dank !
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