Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022

Bericht des Anti-Rassismus-Telefon

Bericht für die Jahreshauptversammlung des Vereines am 28. Nov. 2022

Seit unserer letzten Jahreshauptversammlung im November 2021 ist die Welt um uns herum nicht besser geworden. Krieg, Antisemitismus, Rassismus. Das ist allgemein bekannt.

Wir möchten hier nur die letzten Ereignisse erwähnen, die uns lokal schwer getroffen haben:

In Dortmund ist ein 16-jähriger Migrant aus dem Senegal, der die gefährlich Route über das Mittelmeer überlebt hatte, von der Polizei erschossen worden. Von Tag zu Tag bröckelt das Konstrukt, die Polizisten hätten in Selbstverteidigung gehandelt; für uns scheint es von Tag zu Tag klarer zu sein, dass es Mord war.   Wir, wie viele andere Organisationen auch, haben eine vollständige Aufklärung des Vorfalls eingefordert und uns an der bundesweiten Demonstration am 19.11. beteiligt.

Weiterhin wurden in Essen wurden Spuren von einem Angriff mit scharfen Waffen auf die Synagoge gefunden – dieser Angriff kann nur anti-semitisch gemeint gewesen sein.

Für das Anti-Rassismus-Telefon selbst ein durchwachsenes Jahr:

Einerseits erfolgreiche Arbeit in Schulen, s. Bericht „ART mach Schule

Aber daneben müssen wir mit Bedauern feststellen, dass wir in anderen Bereichen nicht so toll vorangekommen sind. Unsere Personaldecke ist nach wie vor sehr dünn. Viele Themen, die uns wichtig sind, mussten wir fallen lassen.

Besonders unser Unterstützungs- und Beratungsbüro scheint sich weder im Viertel noch sonst in der Stadt sich ausreichend bemerkbar zu machen. Wir haben weniger Anrufe.

„Noch immer „Clans“ überall?

Das rassistische Clan-Konstrukt beherrscht weiterhin die Arbeit der Behörde, so wie der größten Teil der lokalen Presse. Angesichts der oftmals als gering empfundenen Erfolge (unversteuerter Tabak…) entsteht der Verdacht, dass diese Schwerpunktsetzung der Polizeitätigkeit letztendlich nur die Vorurteile rechter Politiker bestätigen soll und die Polizei so von sinnvoller Arbeit abgehalten wird.

Wir besitzen leider nicht die Kompetenz, als dass wir feststellen könnten, was denn alternativ eine „effektive“ oder „richtige“ Polizeiarbeit wäre. Aber wir lehnen ohne wenn und aber die pauschale Verurteilung ganzen Familien oder sogar einer ganzen Volksgruppe ab. Das ist in unseren Augen eine rassistische Kategorisierung.

Wir haben es in diesem Jahr leider nicht geschafft eine Veranstaltung für dieses, in Essen so wichtiges Thema, realisieren zu können. Nur für ein Interview aus Forschungsbereich Uni Marburg wurden wir angefragt. Wir wissen aber bis jetzt nicht, wie es weiter gegangen ist.

Das Thema werden wir im nächsten Jahr weiter verfolgen, da nicht zu hoffen ist, dass Polizei und die Teile der Politik und der Presse von der rassistischen Kategorien ablassen.

Polizei

Seit langem haben wir einige Aspekte der Tätigkeit der Polizei scharf kritisiert – ganz besonders die Übergriffe gegen Migranten, Menschen mit psychischer Erkrankung und Frauen. Siehe auch  CHRONIK: Polizeigewalt, rechte Tendenzen und Widerstand in Essen vom Juli 2021.

Die Erschießung von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund ist kein Einzelfall. Nicht nur in Essen, nicht nur in NRW verdichten sich die Hinweise darauf, dass Flüchtlinge verstärkt mit ihrem Leben büßen müssen, weil deutsche Polizeikräfte Fehler begehen. Die Ursache für diese Fehlverhalten kann auch eine unbewusst rassistische Grundeinstellung einzelner Polizisten sein.

Das Problem ist bekannt und wird an vielen Orten übergreifend bekämpft. Auch wir werden an dem Thema dran bleiben.

Wir konnten eine kleine, aber doch erfolgreiche Demonstration vor dem alten Polizeipräsidium am 13.05.22. gegen rassistische & sexistische Polizeigewalt durchführen.

Rücktritt des Polizeipräsidenten

Anfang Oktober erfuhren wir aus der Presse, dass Polizeipräsident Frank Richter zurückgetreten ist.

Sarkastisch drückten wir unser Bedauern aus, dass er aufgehört hat, bevor er wichtige Fragen zum Polizeiverhalten in seiner Amtszeit beantworten hätte sollen. Selbstverständlich wussten wir, dass er auch in hundert Jahren im Amt keine Antwort gegeben hätte. Wir wollten nur das Thema nicht einfach in Vergessenheit geraten lassen.

Unsere Fragen, wie wir sie in einer Presseerklärung formuliert haben, die leider wieder von der Presse nicht beachtet wurde:

Nur einige der Hauptfragen, die im Interesse des Vertrauens in die Polizei als Trägerin des Gewaltmonopols in einem demokratischen Land von ihm beantwortet hätten werden sollen (und nicht wurden):

– Die Diffamierung und Schikanierung ganzer Gruppen von Migranten als „Clan“ kommt bundesweit vor – jedoch wurde, in der Amtszeit von Frank Richter, Essen eines der wichtigsten Zentren dieser Diskriminierung. Dazu gehören spektakuläre“ Razzien und die über Jahren andauernde publizistische Wiederholung. Wie kann die als selbstverständlich behandelte Gleichsetzung von kriminellen und ethnischen Kategorien beendet werden? Wann wird endlich die Würde der vielen unschuldigen Betroffenen wiederhergestellt?

– Zwei tote Migranten durch Polizeikugel: Wir meinen, dass die Umstände deren Todes nicht endgültig geklärt sind.

— Etliche schwere Misshandlungen, vorwiegend von Menschen mit Migrationshintergrund, mit Verdacht auf einen rassistischen Hintergrund. Wie tief geht der, unter Umständen unbewußte Rassismus, in die Ränge der Polizei hinein?

– Was ist mit dem Verdacht auf rassistische Beweggründe bei weniger schwerwiegenden“ Polizeihandlungen, bei denen sich die Folgen für die Betroffenen als sehr unangenehm herausstellen?

– Rechte Chats unter Polizisten, die schon lange existieren, bevor sie rein zufällig und ohne Beteiligung von Führungsebenen entdeckt werden.

– Dem oft ziemlich laschen Umgang mit rechten Demonstranten stehen Massnahmen gegenüber, die die offene, politische Tätigkeit von Demonstranten einschränken.“

Weiter s. : Rücktritt des Essener Polizeipräsidentes (Okt. 2022) ;

Wir werden auch die Arbeit seines Nachfolgers kritisch beobachten.

ZusammenArbeit und Vernetzung

Viele der Themen die direkt und indirekt mit Rassismus zu tun haben, haben wir, oft in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, behandelt.

So zum Beispiel über Flüchtlinge und ihre tödlichen Wege, wo wir uns selbstverständlich mit der Seebrücke und anderen Organisationen, die dieses Thema zentral behandeln, solidarisiert haben.

Wir lobten den Einsatz der Stadt Essen (und anderer offizieller Stellen) für ukrainische Flüchtlinge – wir fragen uns aber, wie viele andere Organisationen auch, wieso diese Ressourcen nicht für Flüchtlinge aus anderen Ländern, die genauso vom Krieg betroffen waren/sind, zu Verfügung standen und stehen.

Die Forderung, die menschenrechtswidrige Ungleichbehandlung von Flüchtlingen in Deutschland bezüglich des Zugangs zu medizinischer Versorgung zu beenden, unterstützten wir.

Bei der diesjährigen Demonstration in Gedenken an die Opfer des rassistischen Attentat in Hanau (am 19.02.2022) haben wir daran erinnert: Rassismus tötet, mit Rassismus darf man nicht leben.

Die Klimakatastrophe ist ein Fluchtgrund: Wir wurden eingeladen, bei einer Demonstrationen von Fridays for Future (23.09.2022, 05,05.2022) zu sprechen. Leider konnten wir unsere Aussagen nicht in die Öffentlichkeit tragen: unsere zu kleine Personaldecke lähmt uns bei unvorhergesehenen Hindernissen (in diesem Fall bedingt durch Krankheit). Klimarassismus und die durch Klimaprobleme verursachte Fluchtbewegungen werden wir in Auge behalten.

Am 19.03.2022, am internationalen Aktionstag gegen Rassismus, haben wir mit einer Rede an der von Aufstehen gegen Rassismus Essen (AgR) organisierten Kundgebung teilgenommen .

Unser kleiner Beitrag zum Gedenken am 9. Nov. war das putzen von Stolpersteinen in der Nähe des Büros:

Die drei ins Pflaster eingelassenen Gedenksteine erinnern an das Schicksal der jüdischen Familie Isidor, Else und Max Rosenberger. Die Eltern Isidor und Else wurden 1942 nach Izbica deportiert und verstarben dort. Der Sohn Max wurde als Homosexueller von 1937 an mehrfach verhaftet. Am 11. September 1942 stand eigentlich seine Entlassung an. Es ist nur dokumentiert, dass er an diesem Tag nach Sachsenhausen deportiert wurde. Danach verliert sich seine Spur.

Am gleichen Tag haben wir an der von der VVN-BdA initiierten Veranstaltung „Scherbenspur“ in der Essener Innenstadt unter der Parole „Damit Vergangenheit nicht Zukunft wird“ teilgenommen.

Erfreut stellen wir fest, dass befreundete Organisationen vor Ort erfolgreich sind.

Außer der erfolgreichen Anti-Nazi-Arbeit posizioniert sich  „Essen stellt sich quer“    heute sicherer und deutlicher zu den Mitbürgern nichtdeutscher Herkunft. Für uns ist die Teilnahme an ihrer Arbeit wichtig und erfreulich.

Steele bleibt bunt“ kann sich erfolgreich im Stadtteil behaupten und die „Steeler Jungs“ werden in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend in die rechtsextreme Ecke gedrängt, wo sie auch hingehören.

Die Essener Abteilung der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) bringt den wichtigsten Betrag zu der „Gedenkenkultur“.

Öffentlichkeitsarbeit war wie jedes Jahr am 1. Mai mit einem Stand bei der Gewerkschaftskundgebung möglich.

Schon am 14.03.2022 haben wir in Holsterhausen mit einem Büchertisch an die Aktion der Essener AWO und dem Runden Tisch Holsterhausen, anlässlich der Internationalen Woche gegen Rassismus, teilgenommen.