Rücktritt des Essener Polizeipräsidentes

Rücktritt des Essener Polizeipräsidentes

Der Essener Polizeipräsident Frank Richter tritt laut Presseberichten überraschend und aus Gesundheitsgründen zurück.

Die Meinung des Anti-Rassismus Telefon ist:

FRANK RICHTER wird uns fehlen. Wir hätten so viele Fragen zu seiner Amtszeit. Richter geht vorzeitig in den Ruhestand und ist bis jetzt sehr sparsam mit Antworten gewesen.

Tatsächlich kam es einmal zu einem persönlichen Austausch vom Mitarbeitenden des Anti-Rassismust-Tefons mit ihm und seiner Ehefrau , seines Zeichens Extremismusbeauftragte für die Polizei Essen. Klientint*innen aus Essen und Mülheim , die sich als Opfer massiver und rassistisch motivierter Polizeigewalt sahen, hatten sich an uns gewandt. Neben dem Wunsch nach Rechtsbeistand und Öffentlichkeit für das erlittene Unrecht, gab es auch das Anliegen, F. Richter im direkten Gespräch zu einer Entschuldigung zu bewegen.

Da die Polizei das staatliche Gewaltmonopol innehat und es keine unabhängigen Beschwerdestellen gibt, ist es um so wichtiger, dass die Behörde und vor allem das Führungspersonal, im Sinne der Demokratie und des Rechtsstaates , sich solchen Kritiken stellt und alles dafür tut, das Vertrauen in die Institution wieder herzustellen. Um so mehr hatten wir uns über den Termin zum direkten Gespräch gefreut.

Leider wurden alle Vorwürfe und Zeugnisse unserer Klienten rüde abgeschmettert und im Gegenteil der Rassismusvorwurf gegenüber den Beamten als üble Beleidigung gewertet. Es folgte ein langer Monolog über moderne Polizei, die über jeden Verdacht rassistischer Einstellungen oder Arbeitsweisen erhaben sei. Eine Fortsetzung des Dialogs war nach dieser Erfahrung vom Anti-Rassismus-Tefon nicht mehr als sinnvoll betrachtet. Eine Entschuldigung oder auch nur das leiseste Entgegenkommen blieb damit natürlich aus.

Für unsere Klient*innen ist das tragisch. Nach einer traumatischen Erfahrung mit der Polizei, bleibt die Angst , sich nie wieder im Notfall an die Behörde wenden zu können, im Gegenteil, in steter Angst vor der Polizei zu leben. Ein unhaltbarer Zustand, einer Demokratie unwürdig.

Wenig später gab es deutschlandweit in den Medien deutliche Kritik an dem publizierten Leitfaden für Polizeiarbeit in Essen mit arabischen Großfamilien – Kurz: Clanbroschüre, die vor rassistischen stereotypen Zuweisungen nur so strotzt. Trotz klarer Analysen und Argumenten von renommierten Journalist*innen und akademischen Expert*innen, wurde der Vorwurf einfach abgestritten und das unsägliche Papier bleibt weiter Arbeitsgrundlage für die Polizei in Essen.

Auf Kosten der großen marginalisierten Gruppe der kurdischstämmigen Libanesen in Essen, die oft seit Jahrzehnten und teils in dritter Generation in Duldung, mit extrem eingeschränkten Bürgerrechten leben, hat sich Frank Richter profiliert, als harter Hund bei der Verfolgung von Kriminalität in diesen Milieus. Sonderkommissionen und zahlreiche Razzien sollten Tatkraft und Verbrechensbekämpfung bezeugen und hatten vor allem eins zur Folge: Mit der Diffamierung und Schikanierung von ganze Gruppen von Migranten als „Clan“ , wie sie bundesweit vorkommt, wurde in der Amtszeit von Frank Richter gerade Essen eins der wichtigsten Zentren dieser Diskriminierung. Dazu gehören die spektakulärere Razzien im Wahlkampf, zu der Minister, Bürgermeister und politische Prominenz aus der Landeshauptstadt anreisten und die über Jahren andauernde publizistische Wiederholung, der mit Kriminalität in Verbindung gesetzten rassistischen Vorurteile.

Der Begriff Clankriminalität, der jegliche Delikte von Personen innerhalb von Communities, die oft nicht mal wirklich verwandt sind, sondern nur Herkunft oder Nachnamen teilen, als familiär organisiertes Verbrechen bewertet , wird seit Jahren auch von der Presse in Essen für Schlagzeilen genutzt, um reißerisch zu berichten und rassistische Annahmen zu produzieren oder zu verfestigen. Herr Richter war in seiner Rolle mit der wichtigste Protagonist in diesem Spiel. Das diente sicher nicht zu letzt seiner Karriere .

Als schließlich hunderte von Polizist*innen in Essen und Mülheim unter den Verdacht gerieten sich in Chats rechtsextrem und rassistisch zu äußern oder Inhalten nicht zu widersprechen, hat Frank Richter nicht zur aktiven Aufklärung beigetragen. Seine Erklärungen waren peinliche Worthülsen und bewiesen eher plakativ den Corpsgeist, den er doch so vehement für seine Behörde abstreitet.

In die Amtszeit von Frank Richter viel ebenfalls der Aufstieg der sogenannten Steeler Jungs. Monatelang konnten die rechtsextremen Hools unbehelligt in Steele marschieren und auch die dokumentierte Nähe einzelner Polizisten zu den rechten Rockern , brachte Richter nicht zu einem Habdlungsplan gegen rechte Aufmärsche in Essen, etwa in gleicher Weise , wie das Engagement bei den Razzien in Altendorf. Unbehelligt treffen sich die Rechten in Steele in ihrer Szenekneipe im 300. Razzien oder Kontrollen müssen sie nicht befürchten. Erst letztens blieb ein Notruf von Jugendlichen , die dort in der Nähe bedroht wurden stundenlang von der Essener Polizei unbeantwortet.

Dieses Ungleichgewicht in der Betrachtung der Gefahrenlage in Essen für oder durch Migranten zeigt uns, dem Anti-Rassismus-Telefon, die wir uns der Perspektive der Betroffenen verbunden fühlen , dass Herr Richter nicht die ganze Stadtgesellschaft im Blick hatte in seiner Amtszeit. Mit seinem selbstgewählten Schwerpunkt „Clankriminalität “ inklusive der unsägliche Broschüre und bei gleichzeitiger geradezu typischen „Blindheit auf dem rechten Auge“ hat er eine Seite gewählt. Er hat sich auf die Seite eines vermeintlich deutschen, weißen WIRs in Essen gestellt , der Annahme eines redlichen deutschen Bürgers, der beschützt werden muss, vor gefahren von Aussen. Damit hat er mit seiner Arbeit, mit seinen Selbstverständnis und mit seinen Karrierismus zur Spaltung der Essener Stadtgesellschaft beigetragen: in solche , für die Polizeiarbeit, Schikane, Repression und sogar Gewalt bedeutet und solche, die sich mit der Polizei identifizieren und sie im Wahlkampf als „unsere Polizei “ ausriefen – die der vermeintlich normalen, weißen , deutschen, bürgerlichen Bürger*innen.

Damit wurde Richter zum Handlanger im Wahlkampf von Reul und Kufen – die genau diese Narrative aus parteipolitischem Populismus vertreten. Er hatte viele Chancen in seiner Amtszeit mit Krisen, Vorwürfe und Gefahren reflektiert und aufklärerisch, modern umzugehen und für eine zukünftige bessere inklusivere Polizeiarbeit zu stehen. Er hat sie alle vertan.

Vielleicht findet sich eine Nachfolge, die diese Chancen versteht und die Stadtgesellschaft mit ihren Sicherheitsbedürfnissen und Gefahren in ihrer ganzen Vielfältigkeit nicht in Lager aufteilt, sondern als Ganzes begreift. Das wünschen wir uns von ganzem Herzen.

Unsere Fragen lauten also weiterhin:

Wie kann man die als selbstverständlich behandelte Gleichsetzung von kriminellen und ethnischn Kathegorien beenden? Wann wird endlich die Würde der vielen unschuldigen betroffenen wiederhergestellt?

Herr Richter hinterlässt einen riesigen Scherbenhaufen und seiner Nachfolge damit eine schwere Bürde.

Nicht zuletzt dürfen an dieser Stelle die zwei jungen getöteten Migranten (Mike H. und Adel .B.) durch Polizeikugeln im Einsatz nicht unerwähnt bleiben und vergessen werden. Wir meinen, dass die Umstände derer Tode nicht endgültig und hinreichend geklärt sind. Und ebenso schwere Misshandlungen im Einsatz oder  auf Polizeiwachen, vorwiegend gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, mit ausdrücklichem Verdacht auf rassistische Motive.

Wie tief verwurzelt ist der, unter Umständen unbewusste, Rassismus in den Rängen der Polizei in Essen? Wen werden wir jetzt fragen können? Wird die Nachfolge dieses Erbe wahrnehmen, erkennen und bearbeiten? Wir werden weiter drängen und fragen.

Herr Richter möge gesund werden und Zeit finden, seine Amtszeit zu überdenken. Vielleicht findet er ohne die berufliche Verbindung den Abstand, die Polizei und seine Rolle kritisch zu betrachten. Für die Betroffenen ist das unerheblich. Für Wiedergutmachung im Amt ist es nun zu spät .

ANLAGE: Presserklärung des Anti-Rassismus-Telefons