Mouhamed Lamine Dramé durch Polizei erschossen

Mouhamed Lamine Dramé durch Polizei erschossen

Anfang August wurde der 16-jähriger Mouhamed Lamine Dramé in der Dortmunder Nordstadt von der Polizei erschossen. Nun stellen sich immer mehr Teile der Polizei-Version zum Tathergang als falsch heraus. 

Stand der Aufklärung des Mordes an Mouhamed Lamine Dramé durch die Dortmunder Polizei

Information von #Justice4Mouhamed

Wie ist es überhaupt zum tödlichen Polizeieinsatz am 08.08.2022 gekommen?

Der Jugendliche Mouhamed Dramé ist 2019 aus dem Senegal über das Mittelmeer nach Europa geflüchtet, kam über Spanien und Frankreich erst im April diesen Jahres nach Deutschland, zunächst nach Rheinland-Pfalz, in ein Erstaufnahmelager. Dort ist Mouhamed offenbar gefragt worden, wo er hin wolle. Als Fußballfan hat Mouhamed Dortmund angegeben. Er kannte wahrscheinlich niemanden in dieser Stadt. Er wurde dann allein in einen Zug nach Dortmund gesetzt – das ist so üblich in Deutschland. In der katholischen Jugendhilfeeinrichtung in der Holsteiner Straße 21 der Dortmunder Nordstadt war zufällig ein Platz frei. Wenige Tage später wurde er im Innenhof dieser Einrichtung durch die Polizei getötet.
Schon die Behörden in Rheinland-Pfalz hatten wahrgenommen, dass die Flucht Spuren hinterlassen hatte. Es war davon auszugehen, dass Mouhamed schwer traumatisiert war. Die Akte, die sie über Mouhamed angelegt hatten, befand sich zum Zeitpunkt seiner Ermordung noch nicht einmal in Dortmund.
Zwei Tage vor dem tödlichen Polizeieinsatz ist Mouhamed in einer Dortmunder Psychiatrie gewesen in akuter psychischer Notlage. Dort hat man ihn nicht aufgenommen und ihm nicht geholfen – auch das ist so üblich.
So spiegelt die Geschichte Mouhameds, seiner psychischen Notlage, die dem tödlichen Polizeieinsatz vorausging, die Tausender anderer Menschen mit Fluchterfahrungen: Staat, Behörden und Gesundheitssystem versagen.
Am späten Nachmittag des 08. August hat Mouhamed Anzeichen gezeigt, sich selbst zu verletzen und sich das Leben zu nehmen. Die Jugendhilfeeinrichtung tat, was sie mangels Alternativen tun muss: Sie rief die Polizei. Sie informierten über die Umstände und teilten der Polizei mit, welche Sprachen Mouhamed sprach.
Die Nordwache rückte mit massivem Aufgebot an und umstellte den umzäunten Hof der Einrichtung, in welchem sich Mouhamed alleine befand und sich ein Küchenmesser an den Bauch gehalten haben soll: 12 Polizeibeamt*innen und schwere Ausrüstung. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage statisch, Mouhamed kauerte in einer Ecke und bewegte sich nicht. Es gab keinen Grund, nicht auf eine*n Übersetzer*in und eine*n Psycholog*in zu warten. Dennoch entschied sich die Polizei nach kurzer Zeit, die Situation zu eskalieren. Der Einsatz dauerte nur wenige Minuten. Sie sprachen Mouhamed nur in Sprachen an, die er nicht verstand. Sie versuchten nicht, die Lage zu deeskalieren und Mouhamed zu helfen. Stattdessen setzten sie Pfefferspray in so großer Menge ein, dass es Mouhamed über den Kopf lief. Er fasste sich daraufhin wahrscheinlich an den Kopf: Umgehend wurden zwei Schüsse aus einem Taser (Elektroschocker) abgesetzt, von denen einer traf. Vermutlich machte er eine Seitwärtsbewegung in Reaktion auf die schmerzhaften Schüsse. Unmittelbar danach müssen die tödlichen Schüsse aus der Maschinenpistole gefallen sein. Die Maschinenpistole wurde durch den Zaun abgefeuert. Sehr kurze Zeit später blieben alle lebensrettenden Maßnahmen im Klinikum Nord erfolglos: Mouhamed Lamine Dramé stirbt. Es ging von ihm keine Gefahr für andere aus. Deswegen war es Mord.

Wie ist der Stand polizeilicher und staatsantwaltlicher Ermittlungen und politischer Verantwortungsübernahme?

Zunächst haben Polizei, Staatsanwaltschaft und Innenministerium NRW ein Narrativ entworfen, nach welchem der polizeiliche Einsatz rechtmäßig gewesen sei. Sogar eine Anzeige wegen Bedrohung ist gegen Mouhamed ausgestellt worden.
Seit Mouhameds Tod sind nach und nach selbst bei Staatsanwaltschaft und im Innenministerium Zweifel an der formalen Rechtmäßigkeit des Einsatzes aufgekommen.
Inzwischen wird immer klarer, dass das Notwehrnarrativ der Dortmunder Polizei in sich zusammenfällt. Einige Elemente dieses Notwehrnarrativs sind inzwischen widerlegt: Nachweislich hatte Mouhamed keine Drogen und keinen Alkohol konsumiert. Er hat sich nicht auf die Einsatzbeamt*innen zubewegt. Es gibt keine Anhaltspunkte, dass eine Bedrohung für andere von Mouhamed ausging.
Derzeit laufen die Ermittlungen weiter: So sollen die Einsatzbeamt*innen ihre Aussagen untereinander abgesprochen haben, auch mit Polizeipräsident Lange gab es im Nachgang der Tat eine Dienstbesprechung. Wichtig ist die Rekonstruktion einer Timeline des Einsatzes zwischen Eintreffen der Polizei und den tödlichen Schüssen: Sie dokumentiert, dass es faktisch keine Bemühungen der Polizei, keine Handlungen, die dem Schutz des Lebens Mouhameds gegolten hätten, gegeben haben kann. Die tödlichen Schüsse fielen entweder so kurz nach dem Taser-Einsatz, dass Mouhamed keinerlei Chance hatte, darauf zu reagieren, oder eventuell sogar zeitgleich. Inzwischen wird gegen den Einsatzleiter und mehrere Polizist*innen ermittelt, gegen den Todesschützen wegen Totschlags.Zumindest der Einsatz des Pfeffersprays und des ersten Tasers werden höchstwahrscheinlich zu Strafverfahren führen. Ob die Staatsanwaltschaft hier die Folgerung zieht, dass diese Handlungen auch unmittelbar zum Tod Mouhameds geführt haben ist noch unklar.  Ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsergebnis ist für November angekündigt.
Nebenher beschäftigt sich das Landesparlament NRW in verschiedenen Ausschüssen mit Mouhameds Tod. Der politische Druck wächst, das Innenministerium und leitende Polizeibeamt*innen reagieren mit Beschwichtigungen und (bisher leeren) Reformversprechen.

Update vom 09.11.22: Im Rechtsausschuss des Landtags ist ein Ermittlungsdetail thematisiert worden: Es ist nachgewiesen, dass die Schüsse Taser und Maschinenpistole quasi zeitgleich ausgelöst worden sind – nachdem das Schussgeräusch des Tasers wahrnehmbar wurde, fiel mit einem Abstand von 0,717s der erste Schuss aus der Maschinenpistole. Wir fordern vor diesem Ermittlungsergebnis die Mordanklage.

Welche Konsequenzen folgen daraus?

Verzweiflung und Trauer trifft Mouhameds Familie, die für Aufklärung und Gerechtigkeit kämpft und ein Nebenklageverfahren aufgenommen hat. Wir unterstützen die Familie darin und wünschen uns, dass Mouhameds Name und seine Geschichte in Erinnerung bleiben werden. Verzweiflung und Wut treffen auch die vielen Menschen in der Dortmunder Nordstadt und in Deutschland, die täglich struktureller und rassistischer Gewalt durch die Polizei ausgesetzt sind. Wir fordern, dass Mouhamed nicht zu einem der vielen namenlosen Deaths in Custody wird, die durch Polizei und Staat vergessen gemacht werden, als würden ihre Leben nicht zählen.

Unsere wichtigsten Forderungen sind daher:

Wir fordern die Schließung der Nordwache!

Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Umstände um Mouhameds Tod und Konsequenzen für alle beteiligten Beamt*innen!

Wir fordern eine polizeiunabhängige Aufklärungsinstanz und unabhängige Beschwerdestellen

Demilitarisierung der Polizei: keine Taser, denn die sind auch tödlich, keine Maschinenpistolen!

Wir fordern Alternativen zur Polizei: fachliche Krisenintervention für Menschen in akuter Notlage und mit multiplen Krisen-, Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen!

Das Anti-Rassimus-Telefon schließt dem Afruf zur Demo an

AUFRUF ZUR BUNDESWEITEN DEMONSTRATION AM 19.11.22 IN DORTMUND

 English | française | türk | deutsch

Es gibt 1000 Mouhameds

– Sie verdienen Gerechtigkeit! –

Liebe Freund*innen,
am 08.08.2022 tötete die Polizei Dortmund den 16-jährigen Mouhamed Lamine Dramé in der Nordstadt. Mouhamed, der aus dem Senegal nach Deutschland geflüchtet war, war in einer psychischen Krise. Bereits 2 Tage zuvor hatte er Hilfe in der psychiatrischen Klinik der LWL gesucht und war wieder heimgeschickt worden. An seinem Todestag hatten die Betreuer*innen seiner Wohngruppe Angst, er könnte sich selbst verletzten. Deshalb riefen sie die Polizei. Als die Polizei eintraf, saß Mouhamed in der hintersten Ecke eines Innenhofs. Er war keine Gefahr für irgendjemanden. Dennoch entschied sich die Polizei, den Hof zu stürmen. Sie griffen Mouhamed mit Pfefferspray an. Als er dann aufstand, schossen sie mit zwei Tasern und einer Maschinenpistole auf ihn. Mouhamed starb kurz darauf im Krankenhaus. Der Tod von Mouhamed Lamine Dramé hat uns alle erschüttert.

Bemerkenswert sind die Solidarität und die Rufe nach Aufklärung nach den Ereignissen vom 8.8.2022. Denn diese Geschichte ist bei Weitem kein Einzelfall. Seit der Wiedervereinigung sind alleine durch Schusswaffen mindestens 318 Menschen in Polizeieinsätzen getötet worden. Der Großteil der Todesfälle durch Polizeibeamt*innen (bspw. der Tod von Oury Jalloh) ist bis heute nicht hinreichend aufgeklärt, geschweige denn aufgearbeitet worden. In Dortmund hat der Verlust von Mouhamed verschiedene migrantische und politische Gruppen zusammengeführt. Gemeinsam wollen wir zur bundesweiten Demonstration aufrufen. Mouhameds schreckliches Schicksal ist nur eines von tausenden. Sie alle verdienen Aufklärung und Gerechtigkeit. Kommt mit uns auf die Straße, um den Opfern zu gedenken. Lasst uns gemeinsam stark gegen die herrschende Gewaltpraxis von Diskriminierung und Rassismus der Polizei demonstrieren.

Unsere Solidarität und Unterstützung gilt allen Angehörigen, welche Menschen in Polizeieinsätzen verloren haben und allen Betroffenen von Polizeigewalt, vor allem Opfern von anti-Schwarzer und rassistischer, misogyner, sexistischer, homo- und transfeindlicher, ableistischer, klassistischer Diskriminierung.

Solidaritätskreis Mouhamed
Afrikanische Community Dortmund
Initiative Erinnern. Verändern Dortmund
Initiative Oury Jalloh
Initiative Amed Ahmad
NRDPL Dortmund
Autonome Antifa 170
Club Santé
VKII
Bündnis Tag der Solidarität / Kein Schlussstrich Dortmund
Feministisches Kollektiv Dortmund
Radio Nordpol
Black Pigeon
DIDF Dortmund
DIDF Jugend Dortmund
Train of Hope Dortmund e.V.
Face2Face – Solidarische Wohnungslosenhilfe
Bündnis Dortmund gegen Rechts
Mean Streets Antifa
Anarchistische Gruppe Dortmund
Tamilische Community Deutschland
Volksrat der Eelamtamilen in Deutschland e.V. (VETD)
Föderation der Arbeiter*innen aus der Türkei NRW ( ATIF)
Neue demokratische Jugend NRW (YDG)
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes- Bund der Antifaschistinnen NRW (VVN-BdA NRW)
Rote Hilfe e.V.

Weitere Informationen:

WDR: Polizeischüsse in Dortmund: Das wissen wir über den Fall Mouhamed D.